Kreuzeckgruppe Kärnten – ein alpinhistorisches Lehrstück
Warum nur tun sie sich das immer wieder an? Die Rede ist von der Spezies AV-Mitglied, einer entfernten Sonderform des Homo sapiens.
5 lange Tage unterwarfen sich 4 dieser merkwürdigen Wesen der Herausforderung Kreuzeck. Dank des sowohl demographischen als auch hormonellen Gleichgewichtes derselben darf die Unternehmung jedoch durchaus als gelungen bewertet werden.
Die äußeren Umstände gestalteten sich übersichtlich und eher meditativ, da diese Berggruppe so völlig frei gehalten wurde von Sensationen jeglicher Art – auch eine Variante von alpinem Umweltschutz. Man mag gar nicht daran denken, wie das wohl aussähe, hätten sich diese Berge eine einzige Nordwand gegönnt oder ein findiger PR-Agent für alpine Eventoptimierung 100 Meter Stahlseil an einen Grat genagelt.
Mit anderen Worten: kein Klettersteig, keine Kletterroute, kein Skigebiet, keine zeitgerechten Unterbringungsangebote (wir kommen darauf zurück), kaum Menschen, dafür eine Unzahl von unspektakulären Bergen, von denen einer wie der andere aussieht… es ließe sich zwanglos fortsetzen.
Warum nur tun sie sich das immer wieder an?
5 Tage von Ost nach West, jeweils um die 8 Stunden, 4 denkwürdige Hütten (Salzkofelhütte, Feldner Hütte, Hugo Gerbers Hütte, Anna Schutzhaus), 4 Gipfel (Salzkofel 2498m, Kreuzeck 2701m, Hochkreuz 2709m, Zietenkopf 2483m).
Ja warum?
Vielleicht, weil es zu einem Seminar über die Anfänge der vereinsgestützten Alpenerschließung wurde.
Schon der klapprige Schrägaufzug entlang einer verrosteten Druckleitung von Kolbnitz im Mölltal hinauf zu einer Almsiedlung atmete das Flair längst verflossener Zeiten. Und hinter der letzten Almhütte waren das Quartett dann allein, sieht man von dem halben Dutzend ebenfalls Infizierter ab, die man dann zwangsläufig auf jeder Hütte wieder trifft.
Klingt ja ganz traumhaft, so wunderbar allein durch die Natur zu streifen – so einsam ist das dann aber ganz und gar nicht. Wiesenflächen von Horizont zu Horizont, dicht bevölkert von alpinen Nutztieren aller Art, ein Paradies für Rinder, Schafe und Ziegen. Klassische Lanschaftsstilleben mit Kühen im Vordergrund rechts lassen sich so mit nach Hause nehmen, aber leider auch entsprechend verunzierte Funktionsbekleidung für Bergsteiger. Was gibt es Schöneres als die verdiente Trinkpause mit herzhafter Brotzeit auf einem von der Sonne warm beschienenen weichen Graspolster. Jedoch – nicht immer war es Gras, was sich so weich und warm anfühlte. Auf den Punkt gebracht: es gibt wohl kaum eine zweite derart zugeschissene (der Kraftausdruck ist liebevoll gemeint) Berglandschaft wie hier. In immer wieder neuen Farb- und Formvarianten zogen wir so durch eine Art Parallellandschaft, nicht nur dem Auge schmeichelnd, sondern auch die Nase mit würzigen Düften verwöhnend. Extensive Weidewirtschaft, wie sie vor 100 Jahren in den Höhen betrieben wurde, bevor die Massenbewegung Tourismus Fuß fasste.
Und dann die Alpenvereinshütten! Ja wo sind wir denn da hinein geraten? Das letzte Jahrhundert scheint nicht existiert zu haben. Museumsstücke erster Qualität! Jeweils nur Lager für etwa 20 Leute, keine Dusche, kein Internet, auch mal ohne Waschraum.
Wie haben es diese hölzernen Relikte vorbei an allen Hygienerichtlinien, Brandschutzverordnungen und anderer Regelwerke ins 21. Jahrhundert geschafft? Vielleicht, weil sie kaum einer kennt?
Der erste Preis geht an die Hugo Gerbers Hütte. Nur Holz, steinaltes Holz, jeder Schritt löst ein klagendes Ächzen im Gebälk aus, kein Wasser, kein Waschraum. Man solle doch bitte zur Quelle absteigen, nur 15 Minuten, wenn man unbedingt meint, sich waschen zu müssen; dann aber gleich einen Kanister Wasser mit hinauf zur Hütte bringen. Wir duschten innerlich (Gösser Radler). Hier heißt die Toilette noch Abort und das Betriebssystem ist Plumpsklo mit handgeschriebener Anleitung, wie die Sägespäne nach getaner Arbeit einzubringen sind. Was am meisten verblüfft: in diesem engen Abort sind zwei kreisrunde Löcher in das Sitzbrett eingelassen, ein Partnerklo! Allein die Vorstellung, in trauter Zweisamkeit zu sitzen, zu pressen und zu leiden …
Die Alpenvereinler waren wohl schon immer etwas anders.
5 Stufen weiter und du stehst im Lager. Und was steht dort als behördliche Anordnung auf einem 120 Jahre alten Blechschild: Das Schlafen mit Bekleidung ist strengstens untersagt. Das ist ja beinahe eine Sensation. Da haben die AVler hoch oben in den Bergen alle nackt im Lager geschlafen!? Da denkt man immer, die sexuelle Befreiung war das Verdienst der 68er. Weit gefehlt. Anscheinend waren es die Bergler. Zur Klarstellung: wir hatten uns geeinigt, dem Bekleidungsverbot nicht Folge zu leisten. Es hat glücklicherweise keiner gemerkt und eine nächtliche Kontrolle fand nicht statt.
So vergingen die 5 Bergtage ebenso unspektakulär wie kurios.
Vielleicht ist es dem Autor gelungen, das Faszinosum Kreuzeckgruppe zu umreissen. Immerhin ist er die ganze Strecke nun schon zum dritten Mal gegangen und er hat den Eindruck, dass der Funke auch auf seine 3 Freundinnen/Freunde übergesprungen ist.
Deshalb tun sie sich das immer wieder an.